Warum ich die zionistische feministische Zeitschrift boykottiere
Vor einem Jahr abonnierte ich das Missy Magazine für Pop, Politik & Feminismus. In den vergangenen Monaten wurde mir deutlich, wie zionistisch diese Zeitschrift ist. Begleitend zu meiner Abo-Kündigung habe ich mir die Mühe gemacht, meine Lesart aufzuschreiben, in der Hoffnung, dass es vielleicht manch andere*n dazu inspirieren mag, sich nicht für Missy und vergleichbare Medien herzugeben, solange diese bei ihrem zionistischen Kurs bleiben.
Eine Gesprächsrunde mit ach-so-verschiedenen Positionen
Im Editorial der Ausgabe 2024/01 bekundet die Missy Redaktion: „Nach wie vor sind wir erschüttert vom Ausmaß der mörderischen Gewalt der Hamas, von der Angst jüdischer Menschen auf der ganzen Welt und von den vielen zivilen Opfern, die die israelischen Militärschläge in Gaza gefordert haben“ (3). Die Redaktion kündigt an, zu diesen Komplexen „verschiedene Positionen abbilden“ zu wollen (3).
Wollte ein feministisches Magazin tatsächlich verschiedene Positionen abbilden, würde es sich anbieten, zionistische und antizionistische Feminist*innen in einem Streitgespräch oder in separaten Beiträgen gegenüberzustellen. In Missy gibt es jedoch keinen Anti-Zionismus. Das Meinungsspektrum ist schmal und von den einleitenden Worten der Redaktion abgesteckt. Es scheint Konsens, dass die Sicherheit jüdischer Menschen das Thema der aktuellen Stunde sei, und dass die von Zionist*innen aller Konfessionen und Nationen geliebten und militarisierten Sieder-Kolonie (die nicht Siedler-Kolonie genannt wird) diese Sicherheit gewährleiste. Diese Grundannahmen beherrschen jedenfalls die Gesprächsrunde „Unter dem Stern des Antifaschismus“ in der 01/2024 Ausgabe. Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gesprächsrunde sind selten, und wenn, dann ohne besondere Bedeutung. Anstatt eines inhaltlichen Austausch läuft es mehr auf einen Gruppen-Rant zum Thema „Alle sind doof – außer wir“ hinaus.
Ein paar Details: Gözde Günaydin beklagt, „entsetzt“ zu sein über den Diskurs auf den Sozialen Medien, und „schockiert“ darüber, „wie unreflektiert sich der ganzen Buzzwords und Killerphrasen bedient wird, deren Bedeutung den Leuten oft nicht mal klar zu sein scheint“ (56). Um welche angeblichen Buzzwords und Killerphrasen geht es? Man erfährt es nicht. Etwas später im Gespräch behauptet Günaydin, dass es problematisch sei, dass die Begriffe Kolonialismus und Apartheid verwendet werden, weil sie angeblich „aus der Geschichte und diversen anderen Diskursen“ kommen (59). Weil niemand in der Gesprächsrunde ist, der dem widerspricht und diese Begriffe selbstverständlich anwendet in Bezug auf Israel/Palästina, steht das dann da, unhinterfragt.
Unwidersprochen bleibt auch Missy-Interviewer*in Hengameh Yaghoobifarahs Bezeichnung des 07. Oktober als „das größte Pogrom auf jüdisches Leben seit der Shoah“ (56). Dabei bezeichnet der Begriff Pogrom ein Massaker an einer schwachen Minderheit ausgehend von einer Mehrheitsbevölkerung innerhalb eines gemeinsam besiedelten Territoriums, wie Katja Dorothea Buck und Jens Nieper erklären, und ist für den Angriff der Hamas nicht zutreffend. Er gehört auch nicht in die Geschichte des Antisemitismus eingeschrieben, sondern als Teil der Geschichte des palästinensischen Widerstandes gegen die zionistische Besatzung.
Mehrere Teilnehmer*innen der Missy-Runde behaupten, es gehe bei dem Kampf gegen die Hamas um einen Kampf gegen „den Islamismus.“ „Das Ziel des Islamismus ist, die ganze Welt zum radikalen Islam zu zwingen“ (Dana Vowinckel, 59). Elisa Aseva behauptet, eine „islamistische Terrorgruppe wie die Hamas“ würde „sich gegen das Leben an sich richte[n]“ (59). Diese Behauptungen sind Unsinn. Hamas hat ein politisches Programm mit der Forderung nach einem unabhängigen palästinensischen Staat auf dem Gebiet des Westjordanlandes, Ost-Jerusalem und Gaza (siehe auch hier).
Mit der Diffamierung eines Großteils der Palästina-solidarischen Proteste als antisemitisch geht die Runde auch Akkord. Sie sieht in den massenhaften Kündigungen, Streichungen, und sonstigen Sanktionierungen im Kulturbereich kein grundlegendes Problem, sondern höchstens ein taktisches Ärgernis. „Es hilft uns Jüdinnen*Juden nicht, wenn Sharon Dodua Otoo einen Preis nicht verliehen bekommt… „, sagt Dana Vowinckel (57). Diese Aussage fügt sich in ein zionistisches Argumentationsmuster, wonach legitime Anliegen, um nicht zu sagen Rechte!, von Palästinenser*innen überhaupt nicht erst als relevante Diskussionsthemen erscheinen, sondern hinter der Frage, was für Jüd*innen hilfreich sei, im Nichts verschwinden. Palästinenser*innen in Deutschland sind schon lange durch systematische Antisemitismus-Diffamierung aus dem öffentlichen Raum gedrängt worden, wie Anna Younes‘ langjährige Arbeit festhält (auch auf Englisch). Selbstverständlich gibt es auch von antizionistischen Jüd*innen Widerstand gegen diese zionistische Auslegung von Judentum, wofür diese ebenfalls durch den sogenannten „Kampf gegen Antisemitismus“ attackiert werden, wie Jason Oberman in einer frisch veröffentlichten Arbeit festhält. (Siehe auch Elise Hendrick.)
Apropos Palästinenser*innen
Kein*e Palästinenser*in ist Teil der Missy-Gesprächsrunde. Damit reizt Missy, die sich ja als intersektional feministisch und links begreift, ihre journalistische Repräsentationsethik doch etwas aus. In der nächsten Ausgabe würde sie schwer darum herumkommen, irgendeine palästinensische Stimme abzudrucken, denke ich. Welche palästinensischen Stimme würde die Missy Redaktion „erlauben“? Welche palästinensische Akteur*in würde sich dafür hergeben, den sich abzeichnenden politischen Vorgaben der Redaktion nachzukommen?
Mit bitter gefärbter Neugier nehme ich also zwei Monate bzw. 60 Genozid-Tage und so viele Proteste später das Missy- Heft Nummer zwei des Jahres 2024 aus dem Umschlag. Auf dem Titelblatt strotzt bereits das Thema: „Feminismus in Palästina: Wie weiter?“ Eine merkwürdige Frage, angesichts der völligen Ungesichertheit, wie es mit Gaza weitergeht in diesem laufenden Genozid, angesichts über einer Million Vertriebener, unaufhörlicher Militärangriffe, aktutem Verhungern, Tod Tod Tod Verletzungen Krankheiten Hunger Tod Folter Tod überall. Während das Fortbestehen von einem ganzen Volk mit einem großen Fragezeichen versehen ist, ist es das ausgewählte Subjekt „Feminismus“, für dessen weiterem Weg in Palästina Missy Interesse hegt. Warum? Ich denke, es ist einfach ihr Versuch, die Krise ihrer Repräsentationsethik zu meistern.
Der zugehörige Beitrag „Vor Ort ist die Gewalt real“ ist ein Interview mit der palästinensischen Feministin Reem Hajajreh von Women of the Sun, die – weit weg von Deutschland – in Palästina aktiv ist, die politische und ökonomische Ermächtigung palästinensischer Frauen fordert, sich für friedlichen Widerstand ausspricht, mit der israelischen Organisation Women Wage Peace zusammenarbeitet und auf die Frage nach ihren Gedanken zur Politik Deutschlands ein paar höfliche Denkanstöße anbietet: „Warum unterstützt Deutschland Israel auf Kosten palästinensischer Zivilist*innen? Warum wird nicht der Frieden über Kriegsinvestitionen priorisiert?“ (35). Nachdenken über diese Fragen kann dann jede*r Missy-Leser*in für sich alleine, denn das Interview kommt hiermit zum Schluss. Frauen in Deutschland mögen doch Frauen in Palästina zuhören, fordert Hajajreh, und sie habe trotz allem „Hoffnung auf bessere Zeiten.“
Um bei Hajajrehs Fragen zu bleiben: Mediale Darstellungen wie die der Missy, lassen Israels Genozid (den sie nicht so benennen) als alternativlos erscheinen und die Proteste dagegen als illegitim. Auf diesem Weg trägt Missy dazu bei, dass Deutschland Israel bedingungslos (also egal, zu welchen Kosten für palästinensische Zivilist*innen) unterstützt und Kriegsinvestitionen über Frieden priorisiert. Diese Mitschuld benennt niemand innerhalb Missy’s Seiten. Durch das Interview mit Reem Hajajreh hat Missy eine palästinensische Stimme abgebildet, die dabei jedoch so positioniert wurde, dass sie nicht in die in-Deutschland-verortete politische Debatte eindringen konnte.
Missy hat folgendes Zitat von Hajajreh besonders hervorgehoben: „Wir leben unter der Besatzung, nicht sie. Doch auf beiden Seiten verlieren wir unsere Kinder“ (35). Bei der genozidalen Dynamik in der Ermordung palästinensischer Kinder in Gaza funktioniert dieses Zitat ähnlich wie der Ruf „All Lives Matter“ als Antwort auf die BlackLivesMatter Bewegung: Es spielt die Systematik der anti-palästinensischen Gewalt bzw. der anti-Schwarzen Gewalt herunter. „Auf beiden Seiten verlieren wir unsere Kinder“ verschleiert die Struktur der anti-palästinensischen Gewalt und verschleiert die Schritte, die aus Deutschland nötig sind, sie zu beenden: Dazu gehören Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen, allem voran ein sofortiger Stopp von Waffenlieferungen an Israel.
Tschüss, Missy Magazine. Ich werde dich nicht vermissen.
Das Wertvollste, was ich aus meinem Jahr mit der Zeitschrift mitgenommen habe, ist der Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“ über Nan Goldin und den inspirierenden Aktivismus gegen mörderische Pharmakonzern-Praktiken, auf den ich durch eine Rezension aufmerksam wurde. Bestimmt würde Missy inzwischen auch in der jüdisch-amerikanischen Fotografin Goldin eine Antisemitin sehen, weil sie Israel boykottiert. (Ebenfalls boykottiert sie übrigens die New York Times, mit im Kern demselben Vorwurf, den ich an Missy richte.) Zum Glück im Unglück wächst die Palästina-solidarische Bewegung immer weiter. Wenn Missy keinen Kurswechsel vornimmt, dann wird sie bald nicht mehr viele interessante Künstler*innen und Aktivist*innen finden, um ihre Seiten zu füllen. Dann wird es dort wohl in Zukunft öfter langweilige „Alle Sind Doof Außer Wir“ Beiträge geben.
Was uns betrifft: Wir finden mehr als genug guten Lesestoff anderswo, und bessere Verwendung für unser Geld auch. Wer noch andere Sprachen außer Deutsch kann, ist in dieser Zeit im Vorteil. Ich möchte daher zwei besondere Seiten für Leser*innen auf deutsch hervorheben: Palästina Spricht / Palästina Übersetzt präsentiert ausgewählte englische und arabische Texte in deutscher Übersetzung. Eine andere bemerkenswerte Kreation dieses Zeit ist Passages Through Genocide. Sie sammelt und übersetzt Texte von palästinensischen Autor*innen über den Genozid in Gaza. Einige der Autor*innen sind in den letzten Monaten wie so viele so viele so viele von Israel ermordet worden – mit Unterstützung Deutschlands und deutscher Medien wie Missy.
Boykott ist das Geringste!
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